Hans Meyer-Veden

Bilder von Hamburg (2008)

Meine Photographien von Hamburg sind keine Hamburg-Bilder im herkömmlichen Sinn, keine Dokumente der Heimatkunde, der Denkmalpflege, der Hamburg-Geschichte oder der Tagesaktualität, obwohl sie ganz authentisch in Ottensen, in Altona und entlang des Elbe-Ufers photographiert worden sind.

Sie sind nicht gedacht für den bedingten Reflex der Nostalgie, für die Bestätigung gewohnter Klischees oder die Faszination von Kunststücken.

Genau genommen sind sie für mich selbst gemacht. Mein Wohnort ist Ottensen in Altona und rund um diesen Lebensmittelpunkt sind die Photos entstanden, wie Markierungen eines Netzwerks von Wegen, Orten und Augenblicken. Spuren einer Vergewisserung. Grabungen nach dem Wie des eigenen Lebens, nach dem Wo und dem Warum. Die Bilder machen aber auch sichtbar, was der Philosoph Roland Barthes Punctum und Studium nennt: die Methoden der Wahrnehmung. Das Punctum ist die Fähigkeit, mit dem Sehen, Hören, Riechen Schmecken, dem Fühlen und Denken augenblicklich und vollständig das Wichtige zu erfassen. Das Studium ist die Sicherung, die Präzisierung des Forschens.

In meinen Bildern von Hamburg verbinden sich beide Wahrnehmungsformen.

Das Bild der Photographie kann dabei auf eine besondere Weise zeigen, wie zuverlässig, wie authentisch ein Gegenstand ans Tageslicht kommt. Dem Photographen zeigt es aber vor allem, wie seine Augenlust wunderbar kollidiert mit den Energien des Realen. Seine Ambition, seine Absicht, vollendet sich in der empathischen Kollision mit dem Objekt.

Die Anstrengung der Suche, die Aufregungen der fürchterlichsten Neugier, des Wunderns und Staunens, der Phantasie, der Angst, des Mutes und der Sache selbst realisieren sich, wenn das Bild gelingt. Und das ist der „besondere Augenblick“ der Photographie.


Über meine Photographie (2007)

„I photograph to find out, what something will look like photographed.“
Garry Winogrand

Photographie gilt, sicher nicht unbegründet, als ein Medium des einfachen Gebrauchs für den beschränkten Verstand. Was Photographie seit ihrer Erfindung vor 168 Jahren wirklich ist - zwischen Freizeitgestaltung und professioneller Bildproduktion - ist schwer zu beschreiben.

Was sie mir im Kern bedeutet, habe ich jetzt – am Ende meines Lebenslaufs – richtig begriffen. In einem Artikel zur Biologie des Schützenfisches beschreiben Wissenschaftler der Universität Erlangen die Jagdtechnik dieses „Revolverhelden“: Wie ein Photograph seinen Gegenstand sucht der Schützenfisch seine über der Wasseroberfläche unter Blättern sitzende Beute, zielt präzise und schießt mit einem Wasserstrahl derart wirkungsvoll, dass das Insekt ins Nasse fällt. Ein außerordentlich komplexer Vorgang.

Der Fisch muss visieren - für seine Schusstechnik berechnet er den eigenen Ort, die Entfernung, den Schusswinkel und den Punkt des Aufpralls der Beute – denn dieser ist natürlich nicht identisch mit dem Standpunkt des Schützen. Er muss seine Futterkonkurrenz genau beobachten und schneller als sie Zeitpunkt und Aufprallort der Wässerung seines Opfers bestimmen. Nur sechs Nervenzellen, ein sehr kleiner neuronaler Schaltkreis, verarbeiten die für diese Jagdtechnik erforderlichen Informationen in nur 40 Millisekunden. Die Forscher nehmen an, dass die ersten Berechnungen des ganzen Vorgangs schon auf der Netzhaut des Schützenfischs stattfinden. Blitzschnell sozusagen - in 15 Millisekunden sind präzises Erkennen und erfolgreiches Handeln programmiert.

Diese biologische Betrachtung der neuronalen Funktion eines Fischhirns möchte ich übertragen auf die neuronalen Funktionen des Photographierens. Ich möchte das Besondere dieses komplexen Vorgangs erklären und damit auch klarmachen, warum manche Photographen so leidenschaftlich photographieren.

Die Biologie des Photographen gleicht im Prinzip der des Schützenfischs. Der Photograph allerdings ist nicht nur unterwegs, um den Hunger seines Magens zu stillen. Seine Existenz ist nicht allein das Schnappen und Fressen zum Lebenserhalt.

Das cerebrale Netzwerk des Menschen macht die Sache komplizierter. Wie gesagt, im Prinzip analog sucht und jagt der Photograph Beute wie der Schützenfisch.

Aber seine Neugier ist auf die ganze, große Welt gerichtet. Seine Sinnesorgane, sein Gefühl, sein Verstand empfangen diese Welt und Milliarden von Neuronen, Synapsen und Nervenbahnen entschlüsseln diese Informationen. Ein unvorstellbares Rechenwerk verarbeitet permanent all unsere Wahrnehmungen, bestimmt mit großer Sicherheit unseren Standort, unsere Handlungsmuster. Unsere Existenz wird in unserem Kopf organisiert.

Was unsere Augen und Ohren, all unsere Sinnesorgane aufnehmen, was durch die cerebralen Potentiale der Neugier, der Aufmerksamkeit, der Phantasie, des Gefühls und des Denkens verstärkt und differenziert wird – dieser Starkstrom jagt unverzögert und mit unglaublicher Geschwindigkeit durch unser Nervengeflecht. Die Welt, in elektrische Signale verwandelt, und sich in uns wiederum wandelnd zu unserem Bild der Welt – dieses strömende Lebens-Gefühl ist spürbar, leise manchmal und manchmal auch heftig wie ein Donnerwetter, wenn der Photograph den Auslöser drückt. Ein Moment wunderbarster Belohnung. Ein phantastischer Reiz. Ein glücklicher Augenblick, den man mit Leidenschaft immer wieder ausschöpfen möchte.